Donnerstag, 31. März 2022

Darf man russische Soldaten in der Ukraine Orks nennen?

Geprägt wurde der Begriff von Vitaly Kim, Gouverneur der ukrainischen Region Mykolajiw. Er ist sehr aktiv in social media und bezeichnet dabei die russischen Truppen gerne als "Orcs". Und viele machen es ihm nach.

Erstmals stolperte ich darüber, als ich einen Tweet sah "What about Orc forces in Dombass and Crimea?". Ich fand den gut und wollte retweeten, fragte mich aber zuerst: Darf man das als anständiger Mensch?

Zweifellos dürfen es Ukrainer wie Vitaly Kim, die tagtäglich dem russischen Terror ausgesetzt sind. Aber die russischen Soldaten sind trotzdem Menschen, die meisten von ihnen sind Wehrpflichtige, die alles andere als freiwillig dort sind, und die man fast auch als Opfer betrachten kann (aber auch nur fast, sie könnten desertieren oder ihre Entsendung verweigern, wie es ja auch einige taten). Menschen als "Orks" zu bezeichnen, ist schon grenzwertig. 

Aber auf der anderen Seite "kämpfen" die Russen in der Ukraine mehr als unmenschlich. Die Bilder aus Mykolajiw, noch viel mehr aus Mariupol, sind unfassbar. Es kommt in unserer komplexen Welt selten vor (mE das letzte Mal der 2. Weltkrieg), dass Gut gegen Böse kämpft. Ukraine gegen Russland ist Gut gegen Böse, und niemand konnte Gut gegen Böse so prächtig darstellen wie J. R. R. Tolkien.

Ich retweetete.

Donnerstag, 1. Oktober 2020

Programmbeschwerde gegen den "Faktencheck" von "Die Anstalt" zu Assange

In diesem “Faktencheck”[1] wurde ganz klar gegen die journalistische Sorgfaltspflicht verstoßen. Mir ist bewusst, dass die Sendung “Die Anstalt” Satire ist, die selbstverständlich weitgehende Freiheiten genießt, und dass hier durchaus Unterhaltung Vorfahrt vor überprüfbaren Fakten haben darf. Wenn aber dazu dann ein “Faktencheck” mitgeliefert wird, dann wird dem Zuschauer suggeriert, dass alle Tatsachenbehauptungen aus der Sendung überprüfbare Fakten zugrunde liegen. Und das geht gar nicht -- jedenfalls nicht wenn es eben oft keine überprüfbaren Fakten sind, sondern sehr oft Unwahrheiten oder bestenfalls unbelegte Theorien, wie ich gleich zeigen werde.


Ein erstes großes Problem ist, dass bei dem “Faktencheck” oft nur auf Medienberichte verlinkt wird. Das sind meist Mainstream-Medien, aber auch die machen Fehler. Ist es wirklich ein überprüfbarer Fakt, wenn eine große Zeitung darüber berichtet? Erschwerend dazu kommt, dass es nicht nur Mainstream-Medien sind, sondern es wird auch unreflektiert Medien wie Telepolis oder Neues Deutschland verlinkt -- und da muss ich schon fragen: Ernsthaft???


Ich will an 3 konkreten und eindeutigen Beispielen zeigen, dass man auf diese Art Unwahrheiten (oder bestenfalls unbelegte Theorien) als “Fakt” verkauft:


  1. 85 Prozent der Einwohner von Alexandria, VA arbeiten bei der National-Security-Community


Wie ich dies las fragte ich mich ernsthaft wie naiv oder verblendet man sein kann, so einen offensichtlichen Unsinn zu glauben und weiter zu verbreiten. Was denkt man sich eigentlich, eine Stadt ganz ohne (oder gerade mal 15%) lokale Administration, Geschäfte, Bildung, Kultur, lokale Industrien, und so weiter und so fort?


Und hier zeigt sich das Problem: Die Zahl 85% ist eine bloße Behauptung von Nils Melzer, die er bei einem Interview aufgestellt hat. Und schwuppdiwupp ist es “Fakt”. 


Bitte rufen Sie die Wikipedia-Seite zu Alexandria, VA[2] auf und lesen Sie das Kapitel “Largest employers”. Ich denke dann gibt es keine weiteren Fragen mehr zu dem himmelschreienden Unsinn “85%”.



  1. Bei den Luftangriffen von Bagdad schossen die Amerikaner angeblich auf einen VAN, obwohl sie darin Kinder vermuteten


In der Sendung “Die Anstalt” wurde das suggeriert:


Das ist es aber nicht, wenn in dem Wagen Waffen vermutet werden. 

Es waren aber zwei Kinder drin. 

Ja, hätte man Kinder drin vermutet, hätte man ja nicht schießen dürfen. 

Der Fahrer war mit seinen Kindern auf dem Weg zur Schule.


Und der “Faktencheck” versucht das mit Tonaufnahmen aus dem Video zu belegen:


Their fault to bring children in to a battle;

dt Übersetzung Ihr Fehler wenn sie die Kinder mitbringen zum Schlachtfeld 


Diese Bemerkung eines Helikopter-Soldaten war aber, NACHDEM Bodentruppen verletzte Kinder in dem VAN entdeckten. Es gibt nicht den geringsten Beleg, dass die Amerikaner absichtlich auf Kinder schossen, oder auch nur welche vermuteten.



  1. “Eine konstruierte Vergewaltigung”


Mehrfach wird von einer “konstruierten Vergewaltigung” oder so ähnlich gesprochen. Und immer wieder beruft man sich dabei auf Nils Melzer (ja, das ist der gleiche Nils Melzer, der denkt in Alexandria, VA arbeiten 85% der Menschen bei der National-Security-Community, siehe Punkt 1). Also wenn ich in einem “Faktencheck” von einer “konstruierten Vergewaltigung” reden würde, also ich glaube mir würde als erstes dazu einfallen, mal mit den betroffenen Frauen zu reden, oder recherchieren wie sie darüber denken. Dazu aber im “Faktencheck”: Nix. Fehlanzeige.


Aber ich helfe gerne. Die beiden Frauen sind ja mehr oder weniger öffentlich. Die eine davon, Anna Ardin, äußerte sich mehrfach auf Twitter, und dabei sehr unmissverständlich hier[3]:


I would be very surprised & sad if Julian is handed over to the US. For me this was never about anything else than his misconduct against me/women and his refusal to take responsibility for this. Too bad my case could never be investigated properly, but it’s already been closed.


“Konstruiert” -- ernsthaft, ZDF?


Die andere, S.W., hat in Schweden die Wiederaufnahme der Ermittlungen angestrengt, nachdem Assange die Ecuadorianische Botschaft verliess[4].


In diesem “Faktencheck” wird also ernsthaft über eine “konstruierte Vergewaltigung” fabuliert, ohne sich auch nur ansatzweise mit dem Standpunkt der beiden betroffenen Frauen auseinander zu setzen. Wie deutlich kann man eigentlich noch gegen die journalistische Sorgfaltspflicht verstoßen, liebes ZDF? Habt ihr auch nur mal ansatzweise darüber nachgedacht, was die Frauen empfinden, wenn ihr über eine “konstruierte Vergewaltigung” spekuliert und das gleichzeitig als “Fakt” verkauft? Das wäre schon als Satire hart an der Grenze, aber als “Faktencheck” geht das überhaupt nicht. Da ist eine Entschuldigung angebracht!



[1] https://www.zdf.de/assets/faktencheck-29-september-2020-100~original?cb=1601489853910

[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Alexandria,_Virginia

[3] https://mobile.twitter.com/therealardin/status/1116293000693518338

[4] https://apnews.com/article/a3053bfbb08b45f68bdd22fbc2404a8f




Dienstag, 19. Mai 2020

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur strategischen Auslandsaufklärung des BND ist eher unspektakulär

Ok, spektakulär ist das Urteil[1] insofern, dass das Bundesverfassungsgericht erstmals feststellte, dass Artikel 10 des Grundgesetzes, das private Kommunikation schützt, auch für Ausländer im Ausland gilt. Mir persönlich gefällt das nach wie vor nicht, aber das BVerfG hat das plausibel begründet, und sowohl ich als auch die Bundesregierung können damit wohl problemlos leben.

Denn -- und das ist der wesentliche Punkt des Urteils -- das BVerfG hat keinesfalls geurteilt, dass bei der strategischen Auslandsaufklärung die gleichen Maßstäbe angewandt werden müssen wie bei einer gezielten Überwachung im Inland. Das ist ausdrücklich nicht der Fall. Es muss keine individuelle G10-Genehmigung für jeden Selektor eingeholt werden. Das ist der Kernpunkt des Urteils, und hier haben die Snowden-Fans verloren, auch wenn sie es heute noch nicht wahrhaben wollen.

Im Kern geht es bei der Streitfrage darum, ob der BND massenhaft Daten abgreifen darf, und dann lediglich verpflichtet wird, diese ausschließlich aufgrund gesetzlicher Vorgaben auswerten zu dürfen, oder -- wie der typische Snowden-Fan üblicherweise "argumentiert" -- dass der BND gar nicht erst in Besitz dieser Daten kommen darf, da er sie ja ohnehin, Gesetz hin oder her, nach Gutdünken missbrauchen würde. Und hier ist das Urteil eindeutig, selbst mit der Tatsache, dass die G10-Filter nicht zu 100% funktionieren, hat es kein prinzipielles Problem:

b) Gesetzlich ist klar vorzugeben, dass die Inlandskommunikation sowie erforderlichenfalls die Kommunikation, an der auf mindestens einer Seite Deutsche oder Inländer beteiligt sind, vor einer manuellen Auswertung nach dem Stand von Wissenschaft und Technik bestmöglich auszufiltern ist. Für Fälle, in denen das nicht gelingt, ist im Rahmen einer manuellen Sichtung prinzipiell deren unverzügliche Löschung sicherzustellen. Ausnahmen hiervon sind nur eng begrenzt möglich und gesetzlich zu regeln. 

Also selbst Ausnahmen sind möglich. Ich könnte mir als Ausnahme z. B. vorstellen, dass der BND unbeabsichtigt eine Inlandskommunikation abfängt, bei der es um ein Kapitalverbrechen geht, dass er dann das BKA informieren kann. Sehr vernünftig.

Auch ansonsten habe ich nichts in dem Urteil entdeckt, das mich erschrecken oder erschaudern ließe. Es ist weiterhin jede legitime Aufklärung erlaubt, es muss halt sauber gesetzlich kodiert, dokumentiert und auch parlamentarisch überwacht werden. Ich sage es immer wieder, die USA -- die uns ja in vielem immer wieder voraus sind -- haben solche Standards schon viel länger, sie funktionieren trotz Snowden-Unkenrufen sehr gut, und trotzdem sind deren Geheimdienste mächtig und liefern gute Ergebnisse. Ich sehe keinen Grund, warum wir uns nicht auch hier ein gutes Beispiel an den USA nehmen sollten. Und deshalb begrüsse auch ich dieses Urteil von heute ausdrücklich!

Die Bundesregierung muss nun ihre Hausaufgaben machen und einen neuen Gesetzesentwurf erarbeiten. Ich hoffe sie macht das schnell, bevor wir eventuell eine andere Regierung mit anderen Prioritäten haben. Und dann wird sich in der Praxis wenig ändern.