In diesem “Faktencheck”[1] wurde ganz klar gegen die journalistische Sorgfaltspflicht verstoßen. Mir ist bewusst, dass die Sendung “Die Anstalt” Satire ist, die selbstverständlich weitgehende Freiheiten genießt, und dass hier durchaus Unterhaltung Vorfahrt vor überprüfbaren Fakten haben darf. Wenn aber dazu dann ein “Faktencheck” mitgeliefert wird, dann wird dem Zuschauer suggeriert, dass alle Tatsachenbehauptungen aus der Sendung überprüfbare Fakten zugrunde liegen. Und das geht gar nicht -- jedenfalls nicht wenn es eben oft keine überprüfbaren Fakten sind, sondern sehr oft Unwahrheiten oder bestenfalls unbelegte Theorien, wie ich gleich zeigen werde.
Ein erstes großes Problem ist, dass bei dem “Faktencheck” oft nur auf Medienberichte verlinkt wird. Das sind meist Mainstream-Medien, aber auch die machen Fehler. Ist es wirklich ein überprüfbarer Fakt, wenn eine große Zeitung darüber berichtet? Erschwerend dazu kommt, dass es nicht nur Mainstream-Medien sind, sondern es wird auch unreflektiert Medien wie Telepolis oder Neues Deutschland verlinkt -- und da muss ich schon fragen: Ernsthaft???
Ich will an 3 konkreten und eindeutigen Beispielen zeigen, dass man auf diese Art Unwahrheiten (oder bestenfalls unbelegte Theorien) als “Fakt” verkauft:
85 Prozent der Einwohner von Alexandria, VA arbeiten bei der National-Security-Community
Wie ich dies las fragte ich mich ernsthaft wie naiv oder verblendet man sein kann, so einen offensichtlichen Unsinn zu glauben und weiter zu verbreiten. Was denkt man sich eigentlich, eine Stadt ganz ohne (oder gerade mal 15%) lokale Administration, Geschäfte, Bildung, Kultur, lokale Industrien, und so weiter und so fort?
Und hier zeigt sich das Problem: Die Zahl 85% ist eine bloße Behauptung von Nils Melzer, die er bei einem Interview aufgestellt hat. Und schwuppdiwupp ist es “Fakt”.
Bitte rufen Sie die Wikipedia-Seite zu Alexandria, VA[2] auf und lesen Sie das Kapitel “Largest employers”. Ich denke dann gibt es keine weiteren Fragen mehr zu dem himmelschreienden Unsinn “85%”.
Bei den Luftangriffen von Bagdad schossen die Amerikaner angeblich auf einen VAN, obwohl sie darin Kinder vermuteten
In der Sendung “Die Anstalt” wurde das suggeriert:
Das ist es aber nicht, wenn in dem Wagen Waffen vermutet werden.
Es waren aber zwei Kinder drin.
Ja, hätte man Kinder drin vermutet, hätte man ja nicht schießen dürfen.
Der Fahrer war mit seinen Kindern auf dem Weg zur Schule.
Und der “Faktencheck” versucht das mit Tonaufnahmen aus dem Video zu belegen:
Their fault to bring children in to a battle;
dt Übersetzung Ihr Fehler wenn sie die Kinder mitbringen zum Schlachtfeld
Diese Bemerkung eines Helikopter-Soldaten war aber, NACHDEM Bodentruppen verletzte Kinder in dem VAN entdeckten. Es gibt nicht den geringsten Beleg, dass die Amerikaner absichtlich auf Kinder schossen, oder auch nur welche vermuteten.
“Eine konstruierte Vergewaltigung”
Mehrfach wird von einer “konstruierten Vergewaltigung” oder so ähnlich gesprochen. Und immer wieder beruft man sich dabei auf Nils Melzer (ja, das ist der gleiche Nils Melzer, der denkt in Alexandria, VA arbeiten 85% der Menschen bei der National-Security-Community, siehe Punkt 1). Also wenn ich in einem “Faktencheck” von einer “konstruierten Vergewaltigung” reden würde, also ich glaube mir würde als erstes dazu einfallen, mal mit den betroffenen Frauen zu reden, oder recherchieren wie sie darüber denken. Dazu aber im “Faktencheck”: Nix. Fehlanzeige.
Aber ich helfe gerne. Die beiden Frauen sind ja mehr oder weniger öffentlich. Die eine davon, Anna Ardin, äußerte sich mehrfach auf Twitter, und dabei sehr unmissverständlich hier[3]:
I would be very surprised & sad if Julian is handed over to the US. For me this was never about anything else than his misconduct against me/women and his refusal to take responsibility for this. Too bad my case could never be investigated properly, but it’s already been closed.
“Konstruiert” -- ernsthaft, ZDF?
Die andere, S.W., hat in Schweden die Wiederaufnahme der Ermittlungen angestrengt, nachdem Assange die Ecuadorianische Botschaft verliess[4].
In diesem “Faktencheck” wird also ernsthaft über eine “konstruierte Vergewaltigung” fabuliert, ohne sich auch nur ansatzweise mit dem Standpunkt der beiden betroffenen Frauen auseinander zu setzen. Wie deutlich kann man eigentlich noch gegen die journalistische Sorgfaltspflicht verstoßen, liebes ZDF? Habt ihr auch nur mal ansatzweise darüber nachgedacht, was die Frauen empfinden, wenn ihr über eine “konstruierte Vergewaltigung” spekuliert und das gleichzeitig als “Fakt” verkauft? Das wäre schon als Satire hart an der Grenze, aber als “Faktencheck” geht das überhaupt nicht. Da ist eine Entschuldigung angebracht!
[1] https://www.zdf.de/assets/faktencheck-29-september-2020-100~original?cb=1601489853910
[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Alexandria,_Virginia
[3] https://mobile.twitter.com/therealardin/status/1116293000693518338
[4] https://apnews.com/article/a3053bfbb08b45f68bdd22fbc2404a8f