Sonntag, 6. Oktober 2019

"Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht!"
(original gepostet am 27.05.2015 auf Google+)


Dieser Satz von Angela Merkel scheint heute nach hinten loszugehen, wird doch immer mehr bekannt, dass auch der BND "Freunde" ausspionierte. Und auch Merkel selbst rückte inzwischen etwas von der damaligen Aussage ab. Aber war der Satz wirklich so verkehrt? Ich finde nein -- aber die Begründung ist komplex. Merkel muss die komplexe Welt der Spionage erklären, dann kommt sie unbeschadet aus diesem Satz und der ganzen "Affäre" heraus. Merkel muss sich dazu auch eindeutig hinter unsere Geheimdienste und die befreundeter demokratischer Rechtsstaaten stellen.

Merkel sagte diesen Satz, nachdem bekannt wurde, dass ihr Mobiltelefon auf einer NSA-Überwachungsliste stand. Ich fand, ihre Empörung war gerechtfertigt (auch wenn sie nebenbei bei ihren Kommunikationen Sicherheitsvorkehrungen beachten sollte -- es gibt ja nicht nur amerikanische Geheimdienste). Sie war immer ein verlässlicher Partner der USA. Möglicherweise hatte sie es ihrem Amtsvorgänger Schröder zu "verdanken", auf dieser Liste zu stehen. Man weiß es nicht. Aber dass es ein Fehler war, das gestand auch Obama ein, und nahm sie aus der Überwachung. Wobei er eindeutig klar stellte, dass das nur auf ihre Person beschränkt ist, nicht generell kein deutscher Bundeskanzlers mehr überwacht wird.
Dass man wirkliche Freunde nicht überwachen darf, ist schon richtig. Im menschlichen Miteinander ist Vertrauen ein ganz wichtiger Punkt, sei das jetzt im kleinen oder der "großen Politik". Ich bin überzeugt, die USA überwachen auch Cameron nicht. Und umgekehrt die Briten nicht Obama. Der potentielle Schaden ist viel zu hoch, sollte das auffallen. Wirkliche Freunde bespitzeln sich nicht gegenseitig.

Aber was sind schon Freunde?

Freundschaft zwischen ganzen Ländern kann es in dem Sinne nicht geben. Und ist auch nicht sinnvoll. Es wäre absolut nicht nachvollziehbar, wenn beispielsweise die USA keine britischen Islamisten mehr überwachen würden. Und eben auch nicht deutsche Unternehmen wie Heckler & Koch oder Siemens, um mögliche Proliferation, Embargobrüche, Korruption oder Geldwäsche zu ermitteln. Und es ist auch absolut in Ordnung wenn der BND bei unseren osteuropäischen Freunden spioniert, in denen auch das Putin'sche Russland noch sehr aktiv ist.

Von dieser "gegenseitigen" Spionage profitieren letzten Endes auch alle demokratischen Rechtsstaaten. Es ist Deutschland mit guten Gründen verboten, ohne Genehmigung der G10-Kommission gegen deutsche Unternehmen wie Heckler & Koch zu spionieren. Das hat im Wesentlichen zwei Gründe: Nicht nur dass deutsche Personen oder Unternehmen vollständig der deutschen Staatsmacht (und damit potentiell auch Willkür) ausgeliefert sind. Ein anderer Faktor, warum Geheimdienste alles ausspionieren dürfen außer Inländern, der selten in der Diskussion genannt wird: Wenn Geheimdienste ein inländisches Ziel überwachen dürfen, dann können sie es komplett gläsern machen. Sie können Telekommunikationsanbieter dazu zwingen, sämtliche Daten zu diesem inländischen Ziel zu übergeben.
Diese Macht haben ausländische Dienste nicht. Sie können versuchen die Daten des Ziels abzufangen, die über das Ausland geroutet werden (was üblicherweise nur ein sehr kleiner Teil ist). Oder sie können versuchen, gezielt in die Kommunikationen einzubrechen -- das ist aber mit hohem Risiko behaftet und wird daher wohl nur bei extremen Sonderfällen versucht, wenn überhaupt. Kurz und knapp, ausländische Dienste haben ungleich weniger Möglichkeiten als inländische.

Es ist extrem unwahrscheinlich, dass ein ausländischer Dienst wie die NSA mit diesen eingeschränkten Möglichkeiten Industriespionage (die nebenbei den amerikanischen Geheimdiensten verboten ist) gegen ein Unternehmen wie Heckler & Koch betreiben kann. Gänzlich absurd ist die Vorstellung, dass die NSA mit denen durch den BND bereitgestellten Daten -- Internetdaten aus Krisengebieten -- Industriespionage betreiben könnte. Nützlich können aber die gewonnenen Metadaten sein, mit denen bis zu einem gewissen Grad ermittelt werden kann, wer wann mit wem kommunizierte. Diese Daten sind kaum zu Industriespionage nutzbar, wohl aber zur Ermittlung von Proliferation, Embargobrüchen, Korruption oder Geldwäsche. Es ist durchaus im deutschen Interesse, wenn hier gegen verantwortungsloses Verhalten deutscher Unternehmen ermittelt wird -- was Deutschland selbst aus den genannten Gründen nicht darf.

Deutschland und die USA haben überwiegend identische Interessen. Keines der beiden Länder macht Massenüberwachung, keines betreibt Industriespionage. Spionage, die sich gegen Putin, ISIS, Al Qaida, internationalen Terrorismus, Kriminalität, Proliferation, Embargoverstoss, Korruption, Geldwäsche usw. richtet, liegt im ureigensten Interesse beider Länder. Einzig bei der politischen Spionage gehen die Interessen teilweise auseinander. Vor Verhandlungen wird wohl weiterhin die USA bei der EU spionieren, umgekehrt wahrscheinlich auch. So läuft das Spiel nun mal, da sollte man nicht naiv sein. Die USA und die EU sind in dem Sinne ja auch keine Freunde, jedenfalls keine dicken. Aber dort, wo Akteure ein Vertrauensverhätnis aufgebaut haben, da geht Spionage wirklich nicht. Damit hatte Angela Merkel schon recht. Sie muss es halt nur erklären. Aber ich wiederhole mich.

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