Samstag, 5. Oktober 2019

Wie geht es nach dem BGH-Urteil weiter mit dem Projekt "Snowden vor dem 'NSA-Untersuchungsausschuss'"?
(original gepostet 22.11.2016 auf Google+)



Bevor man die künftige Entwicklung nach dem Beschluss des BGH[1] abschätzen kann, muss man zuerst den aktuellen Stand verstehen. Hierzu ein kurzer Überblick:


Als einer der ersten Amtshandlungen beschloss der "NSA-Untersuchungsausschuss" (oder kurz NSAUA) einstimmig eine Zeugenvernehmung von Edward Snowden. Nur über das Prozedere war man von Anfang an uneins. Während für die Opposition nur in Frage kam, Snowden in Berlin anzuhören, wollten die NSAUA-Mitglieder der Regierungsparteien das vermeiden und ihn entweder in Moskau oder per Videoschalte vernehmen. Snowden selbst sagte ein geplantes erstes Treffen in Moskau ab.


Ein "sicheres Geleit" könnte Snowden nur die Bundesregierung gewähren, die das bisher immer ablehnte. Und der NSAUA bat die Bundesregierung bisher nicht um diesbezügliche Amtshilfe, das scheiterte an dem Widerstand der Regierungsparteien.


Daraufhin klagte die Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht, sowohl gegen die Bundesregierung (um eine Amtshilfe zu erzwingen), als auch gegen den NSAUA (um ein Amtshilfeersuchen an die Bundesregierung zu erzwingen). Das Bundesverfassungsgericht nahm die Klage nicht an, da:


1. Es für eine Klage gegen die Bundesregierung zwar schon zuständig wäre, diese aber bisher keinen endgültigen Beschluss fasste, deshalb eine Klage unmöglich sei.
2. Für eine Klage gegen den NSAUA der Bundesgerichtshof zuständig sei.


Genau das tat die Opposition (mit einiger Verzögerung ...), und der Bundesgerichtshof gab ihr Recht. Im Grunde genommen beschloss er nur einen Punkt: Der NSAUA kann auch mit den Stimmen der Opposition (25% Minorität) die Bundesregierung zur Amtshilfe auffordern. Und genau das wird vermutlich noch diesen Donnerstag geschehen, das scheint sicher (wobei mir noch nicht ganz klar ist, inwieweit die Regierungsparteien Einspruch gegen das Urteil einlegen können/werden, und welche Auswirkungen das haben wird Update: Inzwischen ist klar, dass gegen den Bescheid der Untersuchungsrichterin beim BGH Einspruch eingelegt werden kann[3], und das wird laut SPD-Obmann Christian Flisek derzeit auch geprüft und soll bis zur nächsten Ausschusssitzung am 01.12. entschieden sein[4]; legt die Ausschussmehrheit aus CDU/CSU und SPD -- was zu erwarten ist -- Beschwerde ein, so wird sich das unten beschriebene noch weiter verzögern ...).


Aber wie geht es dann weiter?


Danach muss die Bundesregierung klar Stellung beziehen. Kommt sie der Aufforderung nach, oder lehnt sie ihn mit Hinweis auf das Staatswohl ab? Nach ihren bisherigen Stellungnahmen zu urteilen, wird sie die Amtshilfe klar ablehnen. Aber genau weiß man das natürlich erst wenn es soweit ist. Vielleicht will sie der Trump-Administration ja auch ein Signal setzen, dass man Konfrontationen nicht scheut, aber das halte ich für sehr unwahrscheinlich (nicht da sie sich nicht traut, sondern da sie sich damit klar ins Unrecht setzen würde; außerdem müsste sie ihren "Sinneswandel" plausibel erklären).


Nachdem die Bundesregierung eine Amtshilfe endgültig ablehnte, bleibt dann der Opposition nur eine erneute Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Hier stellt sich dann die erste Frage: Wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden, bevor im Herbst 2017 die derzeitige Legislaturperiode und damit auch der NSAUA enden?


Die nächste Frage ist natürlich, wie das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Nach dem jüngsten Urteil zur NSA-Selektorenliste, in dem der Bundesregierung ein großer Spielraum zugebilligt wird, wenn es um die Einschätzung des Staatswohls geht, kann ich mir unmöglich vorstellen, dass es zu Gunsten der Opposition entscheidet -- aber das kann man natürlich vorher nie genau wissen. Das bleibt abzuwarten.


Aber was wenn das Bundesverfassungsgericht für die Opposition entscheidet (oder -- genauso unwahrscheinlich -- die Bundesregierung doch freiwillig Amtshilfe gewährt)? Dann wird's spassig ...


Wird Sankt Edward dann auch tatsächlich nach Berlin kommen? Meine Prognose ist klar nein, und zwar aus zwei Gründen:


1. Er wird selbst nicht wollen. Er hat über seine Tätigkeit bei der NSA gelogen und sich hochgespielt, in Wirklichkeit war er nur ein kleiner IT-Angestellter, der nur einen sehr, sehr eingeschränkten Einblick in die offensiven Spionageaktivitäten der NSA hatte. Und das weiß er selbst natürlich auch, deshalb lässt er keine Interviews mit kritischen Journalisten zu, und deshalb wird er auch nicht zum NSAUA kommen -- wo ihn die CDU/CSU-Mitglieder grillen und bloßstellen würden.


2. Selbst wenn er selbst wollte, Putin würde ihn nicht gehen lassen. Natürlich, wenn man das Märchen von Snowden glaubt, dass er aus patriotischen Gründen handelte, und dass er alle Dokumente zerstörte bevor er nach Moskau flog, wo ihn dann der herzensgute Putin völlig ohne Gegenleistung aufnahm, wenn man diesen Unsinn glaubt, dann besteht natürlich die Möglichkeit dass Putin ihn ziehen lässt. Aber sehr viel wahrscheinlicher ist, dass Snowden spätestens in Moskau zum russischen Agenten wurde, und deshalb wird er auch nicht das Land verlassen können -- jedenfalls nicht lebendig.


Egal ob 1. oder 2. oder beides, Snowden und Russland werden sich schon Ausreden einfallen lassen, warum er nicht kommen kann. Und ihre Fanboys werden es schlucken.


Aber gut, nehmen wir an, überall passiert das Unerwartete, und Snowden kommt tatsächlich nach Berlin. Dann wird es wohl wirklich witzig. Snowden wird eine Show abziehen, aber er wird auch gegrillt werden. Ich gebe zu, der Voyeur in mir würde sich darauf freuen. Aber nicht die Vernunft.




[1] http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2016&Sort=3&nr=76548&linked=bes&Blank=1&file=dokument.pdf
[2] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2014/bvg14-114.html
[3] https://twitter.com/twrweb/status/801810535843004417
[4] http://www.deutschlandfunk.de/nsa-untersuchungsausschuss-herr-snowden-hat-alle.694.de.html?dram:article_id=372318

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