Samstag, 5. Oktober 2019

Rezension “Unter Freunden” von Patrick Sensburg und Armin Fuhrer
(original gepostet 20.06.2017 auf Google+)


Insgesamt finde ich das Buch sehr empfehlenswert. Es gibt einen guten Einblick in die Sichtweise von Patrick Sensburg, den Vorsitzenden des “NSA-Untersuchungsausschuss” (im folgenden nur kurz “NSAUA”), der ja alle öffentlichen und geheimen Sitzungen hautnah miterlebte und so sicher zu den bestinformiertesten Personen zu diesem Themenkomplex zählt (sein Co-Autor, der Journalist Armin Fuhrer, ist mir bisher allerdings nicht sonderlich zur einschlägigen Berichterstattung aufgefallen).

Die Eckpunkte, die das Buch nach meinem Eindruck vermitteln soll, sind sehr gut argumentiert: Dass Snowden mit Vorsicht zu genießen ist, dass sich die heftigsten seiner “Enthüllungen” als Märchen erwiesen (insbesondere die “anlasslose Massenüberwachung”), dass sich aber auf der anderen Seite schon einige Defizite beim BND zeigten (dass diese in erster Linie weniger dem BND selbst als dem Kanzleramt und dem Gesetzgeber anzulasten sind, kam allerdings etwas zu kurz..), und dass diese Defizite mit zwei Maßnahmen zu entgegnen ist: Erweiterung der Befugnisse des BND, Aufstockung seiner Mittel, bei gleichzeitiger Verschärfung und Professionalisierung der Kontrolle -- und dass hierzu die jüngst verabschiedete BND-Reform ein sehr guter erster Schritt ist.

Soweit so gut. Aber das Buch hat auch seine Macken. Es ist auf der einen Seite sehr flüssig geschrieben, aber auf der anderen Seite wird viel hin- und hergesprungen. Es wird oft vom Thema abgeschweift, um im nächsten Kapitel wieder darauf zurückzukommen. Selbst einzelne Abschnitte sind nicht immer konsistent, so wird beispielsweise in einem Abschnitt zu PRISM bei PRISM gestartet, dann zum FISC gewechselt bevor das ganze schließlich bei LOVINT endet. Das ist oft sehr verwirrend.

U. a. das führt dazu, dass sich widersprechende Aussagen gemacht werden, und auch gänzlich falsche. Diese werde ich im Folgenden näher erläutern. Ich gehe dabei kapitelweise vor.



”1. Edward Snowden – der Mann, der die Welt aufrüttelte”

Hiermit treffen die Autoren den Nagel auf den Kopf:

”Was wir als staunende Öffentlichkeit heute über Edward Snowden zu wissen glauben, basiert zum allergrößten Teil auf seinen eigenen Angaben.”

Das ist bis heute ein Hauptproblem. Besser kann man es nicht ausdrücken. Allerdings machen auch die Autoren diesen gleichen Fehler: Sie stellen, noch im gleichen Kapitel, etwas als Fakt hin für das es keinen Beleg außer Snowden’s eigener Behauptung gibt:

”Snowden galt während seiner Dienstzeit auf Hawaii als China-Experte, der sich bestens mit den Fähigkeiten des chinesischen IT-Überwachungssystems auskannte. Er wusste also um die Fähigkeiten der Chinesen auf diesem Gebiet.”

Bei wem soll Snowden als “China Experte” gegolten haben? Inwiefern kannte er sich “bestens mit den Fähigkeiten des chinesischen IT-Überwachungssystems aus”? Wo ist das belegt, außer mit Snowden’s eigenen Behauptungen? Es ist sogar sehr unwahrscheinlich, denn bis mindestens August 2012 war Snowden ganz offensichtlich ein niedrigrangiger Systemadministrator und Helpdesker[1]. Laut inzwischen deklassifizierten NSA-Dokumenten war Snowden ein “systems administrator supporting SIGINT operations” und dann die letzten nicht mal 2 Monate “analyst-in-training”[2].

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Snowden während seiner NSA-Zeit sehr viele Erfahrungen über SIGINT-Operationen sammelte -- wenn überhaupt. Dennoch machen ihn die Autoren -- die ja selbst ein paar Abschnitte vorher sagten, man müsse vorsichtig sein mit Behauptungen, deren einzige Quelle Snowden selbst ist -- zum “China Experten”. Besser kann man nicht veranschaulichen, wie tief verwurzelt dieses Problem in dieser Thematik ist. 

Ein anderes Beispiel, im gleichen Kapitel behaupten die Autoren:

”Plötzlich saß Snowden im Transitbereich des Moskauer Flughafens fest – über Wochen, bis Präsident Putin ihm schließlich vorläufiges Asyl gewährte.”

Auch hier: Dass Snowden in Moskau “strandete”, dass er “plötzlich im Transitbereich festsaß”, beruht einzig auf den Behauptungen von Snowden selbst. Als er da im Transitbereich angeblich festsaß, warum hat ihn denn niemand von den hunderten Journalisten und Touristen gesehen, die Ausschau nach ihm hielten? Weder er noch seine Begleiterin Sarah Harrison wurde von irgend jemandem entdeckt, während er angeblich über einen Monat festsaß. Wie glaubwürdig ist das? Und warum flog er ausgerechnet über Moskau mit der russischen Fluggesellschaft Aeroflot, wenn er angeblich nach Ecuador wollte? 

Es ist absurd, dass Snowden “plötzlich im Transitbereich des Moskauer Flughafens festsaß” -- das einzige, das man verlässlich sagen kann, ist dass Snowden in Russland war und dort mehr als einen Monat von der Bildfläche verschwand (nur unterbrochen von einer “Pressekonferenz”). Dennoch wird das immer wieder behauptet, auch von den Autoren, die ja eigentlich erkannt hatten dass man mit bloßen Snowden-Behauptungen vorsichtig sein sollte. Hinzu kommt, dass die Autoren an anderer Stelle richtigerweise darauf hinwiesen, dass Snowden mehrfach das Russische Konsulat in Hong Kong besuchte, dass er sogar seinen 30. Geburtstag dort feierte. Klar, es gibt hier für nichts einen gerichtsfesten Beweis, aber das wesentlich plausiblere ist dass schon alles von Hong Kong aus arrangiert wurde, und seine “Strandung” in Moskau nichts als eine Show war (aus welchem Grund auch immer) -- aber die Autoren stellen es als Fakt hin, dass Snowden “plötzlich festsaß”.

Das hier ist dann wieder eine exzellente Feststellung:

”Jeder, der sich kritisch mit Snowden beschäftigt, läuft Gefahr, in den deutschen Medien beschimpft, diskreditiert und persönlich herabgesetzt zu werden.”

Ich hatte hier[3] schon mal detaillierter erläutert, dass Snowden keine Frage von rechts oder links, liberal oder law-and-order, pro- oder antiamerikanisch ist -- sondern Wahrheit und Lüge. Man kann zu diesen ganzen Fragen stehen wie man will, aber Snowden hat zu vielen Themen eindeutig gelogen, und zu anderen absurde Räuberpistolen erzählt. Aber jeder, der diese simplen Tatsachen einigermaßen publikumswirksam erzählt, wird von dem überwiegenden Teil der deutschen Mediengesellschaft gnadenlos niedergemacht.

Die Autoren erklären sehr schön, dass egal wie man zu Snowden steht, dass selbst wenn man ihm abnimmt, dass er bis zu Hong Kong der idealistische Whistleblower war, dass man schon extrem naiv sein muss wenn man nicht annimmt dass er spätestens seit Moskau mit russischen Diensten zusammenarbeitet und ihnen “seine” Dokumente übergab. Die Autoren stellen auch vollkommen nachvollziehbar fest, dass es mehr als naiv ist anzunehmen, dass Snowden die Dokumente vor dem Abflug nach Moskau unwiederbringbar zerstörte. Hierzu noch eine weitere Beweiskette:

Laut dem HPSCI-Bericht[4] hat Snowden ca. 1.5 Millionen Dokumente gestohlen. Greenwald sagte später, dass er zwischen 15.000 und 20.000 Dokumente hat[5]. Selbst wenn diese Zahl später noch etwas nach oben korrigiert wurde, so kann man doch sicher davon ausgehen dass Greenwald nicht alles bekam. Doch was geschah mit dem Rest? Glaubt wirklich jemand ernsthaft, dass Snowden, der so viel für diese Dokumente riskierte, diese einfach rückstandslos löschte? Also ich definitiv nicht. Und einen Hinweis darauf, dass Snowden das eben nicht tat, liefert wieder Greenwald, der hier[6] sagte, dass Snowden bezüglich den Dokumenten Vorkehrungen traf, “falls ihm etwas zustößt”. Und darin sagt Greenwald auch klar, dass auch er davon ausgeht, dass er nicht alles bekommen hat.

Bei dieser Aussage musste ich mir aber wieder verwundert die Augen reiben:

”In den USA wird zwar die Bevölkerung, wie wir durch Snowdens Enthüllungen wissen, ebenso überwacht wie in China. Fälle, in denen US-Bürger wegen ihrer politischen Meinung, die sie im Netz vertreten, verhaftet und verurteilt werden, sind jedoch nicht an der Tagesordnung.”

Aha. Welche von Snowden’s “Enthüllungen” soll das denn gewesen sein, die belege, dass die USA die eigene Bevölkerung genauso überwache wie China seine? Man kann da echt nur mit dem Kopf schütteln. Und es zeigt sich auch hier, da selbst die Autoren darauf hereingefallen sind, es war schon eine erfolgreiche Taktik von Snowden und der Presse, möglichst viele falsche und irreführende “Enthüllungen” zu veröffentlichen, es wird schon genug davon hängen bleiben, selbst bei Leuten die es eigentlich besser wissen sollten. Zu Kapitel 3 gehe ich etwas näher auf diese Behauptungen ein.

Und dann, schluck, sind also Verhaftungen wegen politischer Meinungsäußerungen in den USA “nicht an der Tagesordnung”??? Es gibt sie also??? Unfassbar. In der Realität toleriert die USA sehr viel mehr an politischen Meinungsäußerungen als z. B. Deutschland (wobei natürlich unter dem Strich in beiden Ländern praktisch uneingeschränkte Meinungsäußerung herrscht). Solche schnippischen Bemerkungen sollten sich Deutsche gegenüber den USA also besser verkneifen. 

Hier kommt eine Stelle, an der die Autoren einiges missverstehen:

”Dass die Empörung, die Wut, lebt, zeigt ein Bericht über Snowdens Aktivitäten, den eine Kommission des „United States House Permanent Select Committee on Intelligence“ (HPSCI) – des Geheimdienstausschusses des amerikanischen Repräsentantenhauses – im September 2016 an seine Auftraggeber weiterleitete. [...]
die NSA beziehungsweise die United States Intelligence Community (IC), der Zusammenschluss von 17 US-amerikanischen Geheimdiensten. [...]
Sie erstellte im September 2016 einen Bericht mit eigenen Erkenntnissen zu Snowden.
Der Bericht kommt auf 36 Seiten, von denen allerdings nur vier öffentlich zugänglich sind.”

Zunächst wird richtig festgestellt, dass das HPSCI (ein Gremium zur Geheimdienstkontrolle, man kann es grob mit dem Parlamentarischen Kontrollgremium vergleichen) einen Bericht zu Snowden erstellte. Ein paar Absätze später sagen sie dann aber, dass der Bericht von der IC kam, was völlig falsch ist. Die IC lieferte lediglich relevante Dokumente, ähnlich wie der BND dem NSAUA. Ich kann mir vorstellen, dass Patrick Sensburg wenig amüsiert wäre, wenn jemand behauptet, dass der NSAUA-Abschlussbericht vom BND erstellt wurde -- genau das macht er aber mit dem HPSCI-Bericht zu Snowden.

Hinzu kommt, dass der 36-seitige vollständige Bericht bereits Ende 2016 veröffentlicht​ wurde[4] (lediglich mit einigen Schwärzungen). Es verwundert schon etwas, dass die Autoren das offensichtlich nicht realisierten.


”2. Nachrichtendienste im Drohnenkrieg”

Dieses Kapitel ist insgesamt sehr gelungen. Es beschreibt dass auch der Zeuge Bryant mit Vorsicht zu genießen ist, dass Ramstein zwar eine Funktion im “Drohnenkrieg” hat, aber lediglich als Relaisstation, keine aktive bei der Steuerung der Drohnen. Und es wird gezeigt, dass mit sogenannten “IMSI-Catchern” zwar eine Lokalisierung von Handys auf wenige Meter genau möglich ist, es aber bisher absolute Spekulation bleibt ob und wenn ja in welchem Umfang die Amerikaner diese Technologie bei Drohnenangriffen nutzen.

Was ich mir gewünscht hätte, wäre eine deutlichere Klarstellung darüber, wie absurd die hierzulande oft gehörte Skandalisierung ist, BND und Verfassungsschutz hätten der NSA Handynummern von Terrorverdächtigen geliefert, und gegen die Träger dieser Handys wären dann Drohnen geschickt worden. Es ist bisher wenig darüber bekannt, aufgrund welcher Informationen die Drohnen genau gesteuert werden. Man kann sich da eine Kombination von HUMINT und SIGINT, Lotsung vom Boden aus und der Sicht des Piloten vorstellen -- aber dass die Amerikaner einfach eine Handynummer ansteuern, die Monate zuvor vom Verfassungsschutz in Deutschland erhoben wurde, das ist doch vollkommen realitätsfern.


”3. Aus dem Ruder gelaufen? Die NSA und der Traum von der digitalen Totalüberwachung”

Dieses Kapitel ist, man kann es leider nicht anders ausdrücken, fürchterlich. Obwohl die Autoren an anderer Stelle richtigerweise darauf hinweisen, dass bloße Behauptungen von Snowden, Greenwald & Co. mit Vorsicht zu genießen sind, dass sich viele ihrer Behauptungen im Nachhinein als unhaltbar erwiesen, trotzdem wiederholen hier die Autoren unreflektiert einige solcher unbelegten Behauptungen:

”Mit der Offenlegung des Massenüberwachungsprogramms PRISM fing alles an”

Mit PRISM “fing zwar alles an”, aber PRISM ist kein “Massenüberwachungsprogramm”. Die “Enthüllungen” zu PRISM waren, wie so vieles andere auch, falsch, und die initialen Behauptungen hielten keinem Faktencheck stand. Weder gab es einen “direkten Zugriff” auf die Server von Google & Co., noch waren Google & Co. “Partner” in irgendeiner Form. Wenn die NSA etwas von Google will, dann muss sie einen formellen Request an diese schicken, in der die betroffenen Benutzerkonten genannt werden, und Google liefert (sofern sie es rechtlich nicht beanstanden) die entsprechenden Daten zurück. Das ist gezielte, traditionelle Überwachung und hat mit “Massenüberwachung” rein gar nichts zu tun. Prinzipiell funktioniert das in Deutschland genauso auch, wenn z. B. der Verfassungsschutz etwas von der Deutschen Telekom will.

Wie PRISM funktioniert, das wird am besten im PCLOB 702 Report[7] erläutert. Da die Autoren auch auf diesen verweisen, ist es umso unverständlicher dass sie PRISM “Massenüberwachungsprogramm” nennen. Selbst die EU geht davon aus, dass die Beschreibung des PCLOB korrekt ist, wie man an dieser Antwort von Vera Jourova[8] eindeutig erkennen kann.

”Die NSA wolle wissen, speichern und auswerten, wer wann was wo zu wem und warum sagt. Der Dienst ist aus dem Ruder gelaufen – zu diesem Ergebnis muss auch kommen, wer die eigentliche Aufgabe von Geheimdiensten, nämlich das eigene Volk vor Angriffen von innen und von außen zu schützen, gutheißt”

Nein, zu diesem Ergebnis muss man eben nicht kommen. Wer sich die Snowden-Dokumente objektiv und unvoreingenommen durchliest, der erkennt eben kein “aus dem Ruder gelaufen”, sondern eine höchst bürokratische, regelbasierte und gesetzestreue Behörde, die mittels gezielter Überwachung ihren Aufgaben nachgeht.

”Sie unterbricht die Lieferkette der Geräte vom Verkäufer zum Kunden.”

Herrje. Die Autoren übernehmen unkritisch 1:1 die Wortwahl von Greenwald, der damit die Leserschaft in die Irre führen wollte, die NSA würde auf diese Art x-beliebige Leute angreifen. In den NSA-Dokumenten ist eben nicht von “Kunden” die Rede, sondern von “targets” oder “hardest targets”. “Kunden” wurde von Greenwald dazu gedichtet. Und die Autoren plappern es nach.

Ein weiterer Fehler bzw. Ungenauigkeit ist hier in einer Fußnote versteckt:

​”Der Spiegel beruft sich dabei auf Snowden-Dokumente.”

Der SPIEGEL beruft sich nicht auf Snowden. Sie geben keine Quelle an; normalerweise wird Snowden genannt, wenn er die Quelle ist.
Auch wenn ich persönlich zwar schon denke, dass dieser Bericht auf Snowden-Dokumenten beruht, so ist das reine Spekulation. So wie es die Autoren schreiben ist es schlicht falsch. Der SPIEGEL beruft sich nicht auf Snowden.

”Zugriff darauf bekommen die Geheimdienstler über die Server von US-Unternehmen wie Google, Apple, Yahoo, Microsoft oder Facebook.”

Nein, siehe oben, die Dienste bekommen keinen Zugriff über die Server. Diese initiale Berichterstattung stellte sich als falsch heraus.

Zu XKeyScore wird innerhalb zweier aufeinander folgender Sätze etwas widersprüchliches geschrieben:

”Doch PRISM wird sogar noch getoppt. Der erfolgreichste Datensauger der NSA nennt sich XKeyscore und ist seit 2007 in Betrieb. XKeyscore ist ein Werkzeug, mit dessen Hilfe die Daten auf angezapften Kommunikationswegen praktisch komplett ausgewertet werden können.”

Nein, XKeyScore ist eben kein “Datensauger”, das ist vollkommen falsch. XKeyScore ist nicht mehr als ein Werkzeug, wie es im zweiten Satz richtig steht.
Falsch am zweiten Satz ist, dass XKeyScore direkt auf die “angezapften Kommunikationswege” angewandt wird. Richtig ist, dass aus den “angezapften Kommunikationswegen” mit Hilfe der berüchtigten Selektoren “interessanter” Datenverkehr ausgeleitet wird, dieser Datenverkehr kommt in eine Datenbank, und mit XKeyScore wird dann diese Datenbank ausgewertet.

Interessant ist, dass die Autoren später, in Kapitel 7, eine völlig zutreffende Beschreibung von XKeyScore bieten:

”Erstens diente die Software nicht der Erfassung, sondern ausschließlich der Analyse bereits erfasster Daten.”

Das ist eben einer meiner Hauptkritikpunkte an dem Buch, dass oft widersprüchliche Angaben gemacht werden -- und dann ist nun mal zumindest eine davon falsch ...

Weiter geht’s:

”Dieser Gebäudekomplex soll gigantische Server beherbergen, auf denen die NSA alle ihre Schätze speichert, die sie aus dem Netz gefischt hat; alle Formen der Kommunikation, inklusive den kompletten Inhalten aller privaten E-Mails, Telefongespräche und Google-Sucheingaben und noch vieles mehr. Die NSA benötigt diese riesigen Kapazitäten, denn anders als der BND speichert sie alles, was sie sich aus dem Netz fischt, und wertet es dann bei Bedarf aus. Der BND dagegen filtert sofort, nachdem er Zugriff auf Daten hat, das heraus, was ihn aktuell interessiert. Der ganz große Rest wird sofort gelöscht.”

Was die Autoren hier über die NSA behaupten, sie würde “alles aus dem Netz fischen [...]”, ist komplette Spekulation. Wo haben die Autoren das her? Auch hier haben sie offensichtlich wieder vollkommen unreflektiert die bloßen Behauptungen von Snowden, Greenwald & Co. übernommen. Nach allem was wir wissen -- und da kann ich nur wieder den PCLOB 702 Report empfehlen -- arbeitet die NSA hier ganz ähnlich wie der BND.


”4. NSA und BND – alles zum Schutz der Bürger?”

Dieses Kapitel beschreibt in erster Linie die Zusammenarbeit zwischen BND und NSA, wie es dazu kam, und was es für Schwierigkeiten gab. Darum ging es ja auch zu weiten Teilen im NSAUA. Es ist insgesamt sehr interessant und fasst die wichtigsten Erkenntnisse gut zusammen. Lediglich zwei Anmerkungen:

”Wenn 1980 eine Nummer eingestellt worden sei, sei es wahrscheinlich, dass sie heute, Jahrzehnte später, immer noch in der Liste stehe.”

Das ist insbesondere interessant, und eines der wenigen Dinge die man dem BND tatsächlich vorwerfen kann. Der BND hatte, nach allem was bisher öffentlich bekannt ist, fast immer gute Gründe auch auf den ersten Blick fragwürdige Selektoren zu steuern. Aber er hat halt nie aufgeräumt. Es war zu einem Zeitpunkt X sicherlich angebracht, z. B. wegen einem Entführungsfall die französische Botschaft in Afghanistan zu steuern. Aber man hätte das deaktivieren sollen, nachdem der Entführungsfall vorbei war.

Und es kommt eine weitere Unrichtigkeit:

”Im Oktober, mehr als vier Monate nach den ersten Snowden-Enthüllungen, wurde durch den Spiegel bekannt, dass die NSA offenbar auch die Bundeskanzlerin persönlich abgehört hatte. Auch hier waren Snowdens Dokumente die Basis für die Behauptung.”

Das ist falsch. Ähnlich wie beim ANT-Katalog (siehe oben) wurde Snowden nie als Quelle für die Merkel-Story genannt. Und auch wie dort, man kann es für wahrscheinlich halten dass dieses Material von Snowden stammt (ich tue das), aber einfach zu behaupten es basiere auf Snowden-Dokumenten ist falsch.


”5. Der BND”

Ähnlich wie Kapitel 4, sehr interessant und informativ, auch wenn mir die oft geäußerte Kritik am BND etwas übertrieben ist, und auch da wo sie gerechtfertigt erscheint kann man die Versäumnisse aus meiner Sicht auch eher bei Kanzleramt und Gesetzgeber finden als beim BND. Aber ich kann nur die öffentlich verfügbaren Fakten beurteilen, Patrick Sensburg dagegen, der geheime Akten kennt und in allen geheimen Sitzungen dabei war, hat hier eine weitaus größere Informationsbasis und Wissen aus erster Hand. Insofern nehme ich seine Eindrücke auch entsprechend ernst. 


”6. Das Versagen der NSA-Zeugen und der Streit um Edward Snowden” 

Interessantes und gutes Kapitel über die NSA-Zeugen Snowden, Binney und Drake.

Zuerst wird Snowden gründlich auseinandergenommen für seine Weigerung, mit dem NSAUA auch nur zu reden, während er ansonsten kein Problem hat seine Weisheiten per Videoschaltungen zu Gott und der Welt zum Besten zu geben. Das kann aber nur verwundern wer immer noch ein sehr naives Weltbild von Edward Snowden hat. Er steht inzwischen im Dienst seiner Schutzherren im Kreml, und sein Auftrag lautet Zwietracht im Westen zu säen. Würde ihn die Bundesregierung einladen (er käme dann höchstwahrscheinlich eh nicht, und selbst wenn hätte er außer ein paar flammenden Appellen wohl ohnehin wenig zu sagen, wie die Autoren richtig feststellen), dann gäbe es Zwietracht zwischen Deutschland und den USA, lehnt es die Bundesregierung ab, dann beschuldigen seine immer noch zahlreichen Fanboys natürlich nicht ihn, sondern die Bundesregierung, also Zwietracht in Deutschland. Der Kreml gewinnt in jedem Fall.

Auch Binney und Drake, die beide vor dem NSAUA aussagten, werden sehr kritisch gesehen. Das Kapital ist sehr lesenswert. Hinzufügen möchte ich ein Element, das bisher zu wenig Beachtung findet.
Dazu muss ich aber zur Erläuterung erst mal etwas ausholen ...

Was beachtenswert an den bisherigen Snowden-"Enthüllungen" ist, das sind weniger die aufgedeckten Programme oder Werkzeuge, sondern was bisher nicht veröffentlicht wurde: Ein sogenanntes "data mining" Programm. Damit ist ein Programm gemeint, dem man alle möglichen Daten zuschickt, und dann sucht ein Algorithmus darin nach Verdächtigen. Offensichtlich hat die NSA ein solches Programm nicht im Einsatz.

Warum nicht, darüber kann man nur spekulieren. Vielleicht zu teuer, vielleicht ist man aber auch der Argumentation von Bruce Schneier gefolgt, dass die vielen false positives und false negatives des Hasen Tod sind[9]. Oder aber es waren rechtliche Bedenken? Denn eines ist sicher, solch ein Programm wäre zweifelsfrei anlasslose Massenüberwachung. Selbst ich, der bisher alles über die NSA "enthüllte" angemessen oder zumindest nachvollziehbar findet, würde ein solches Überwachungsprogramm rundweg ablehnen.

Aber -- und damit schlagen wir den Bogen zurück zu Binney und Drake -- wir wissen, dass die NSA mit solchen Programmen experimentierte. Obwohl nur wenige technische Details darüber bekannt sind, "ThinThread" und "Trailblazer" scheinen solche "data mining" Experimente gewesen zu sein. Und diese waren der Grund für den Ausstieg von Binney und Drake -- aber nicht etwa da sie damals (heute reden sie natürlich ganz anders...) moralische Bedenken gegen diese (geplante -- es ist wichtig zu verstehen dass diese Programme nie produktiv gingen) anlasslose Massenüberwachung hatten, sondern da es einen Wettstreit zwischen "ThinThread" und "Trailblazer" gab, und beide setzten sich massiv für "ThinThread" ein (Binney war auch maßgeblich an der Entwicklung von "ThinThread" beteiligt). Heute wird immer wieder behauptet, "ThinThread" hätte Privatsphären-Vorkehrungen, die "Trailblazer" gefehlt hätten, aber das kann man mE getrost in's Reich der Legenden abtun. Privatsphären-Vorkehrungen werden beide gehabt haben, aber "ThinThread" war ziemlich eindeutig ein Programm zur anlasslosen Massenüberwachung, und die beiden Privatsphärenhelden Binney und Drake wollten das haben und wurden beleidigt zu Whistleblowern, nachdem sie sich nicht durchsetzen konnten -- aus diesem Blickwinkel kann man ihre Geschichte eben auch betrachten.


"7. Der NSA-Untersuchungsausschuss – eine Erfolgsstory"

In diesem Kapitel wird ein, die Überschrift sagt es schon, positives Resümee über den NSAUA gezogen. Die meisten der Punkte sind auch gut und nachvollziehbar argumentiert. Ein paar Anmerkungen:

”Ein Kartenhaus fällt zusammen”

Damit wird zutreffend beschrieben, dass sich keiner von Snowden’s Hauptvorwürfen bestätigte, wie Massenüberwachung, Industriespionage oder Ringtausch.

”Edward Snowden scheint zweifelsohne ein brillanter Code-Writer gewesen zu sein. Doch an seinen teils krassen Fehleinschätzungen zur praktischen Arbeitsweise von Programmen wie PRISM und Upstream”

Woher die Autoren haben, dass Snowden ein “brillanter Code-Writer” war, wird wohl deren Geheimnis bleiben. Wie oben schon beschrieben, war Snowden ein kleiner Microsoft-Admin und Helpdesker, der erst in den letzten nicht mal zwei Monaten in eine Tätigkeit als Analyst reinschnupperte. “Code-Writer” ist mir vollkommen neu.

Und richtig ist, dass er einige grobe Fehleinschätzungen zu Programmen wie PRISM oder Upstream ablieferte. Umso unverständlicher ist dass die Autoren an anderen Stellen in dem Buch eben solche Fehleinschätzungen zu PRISM unreflektiert als Fakt hinstellten.

Und das hier zitiere ich mal nur da es mir so gut gefällt:

”Von Minute zu Minute der Zeugenbefragungen zu Upstream schmolzen Snowdens Thesen wie Butter in der Sonne.”


”8. Wir dürfen nicht stehen bleiben”

Den Schlussabschnitt aus diesem Kapitel finde ich sehr irritierend:

”Der NSA-Untersuchungsausschuss hat neben dem Aufdecken von Systemfehlern und menschlichem Fehlverhalten beim BND auch seinen Beitrag dazu geleistet, dass es einen deutschen Edward Snowden hoffentlich nie geben wird beziehungsweise geben muss. Und zwar nicht, weil Rechtsverstöße des BND unter den Teppich gekehrt werden könnten und ein Whistleblower von deutschen Behörden unterdrückt und verfolgt werden würde. Sondern weil die Zustände in den deutschen Geheimdiensten hoffentlich so sind, dass kein Geheimdienstmitarbeiter sich herausgefordert fühlt, mit Wissen über rechtswidrige Machenschaften an die Öffentlichkeit zu gehen.”

Man kann ja durchaus geteilter Meinung sein über das, was durch den NSAUA über den BND heraus kam. Die Gesetzeslage war unklar, er hat es sich an der ein oder anderen Stelle zu einfach gemacht, und auch die Kontrolle war alles andere als perfekt. Aber bisher kam nichts heraus, das ein “Whistleblowing” oder gar einen Geheimnisverrat in irgendeiner Form gerechtfertigt hätte. Bisher kam nichts über den BND heraus, das man auch nur entfernt als Fehlverhalten bezeichnen könnte.

Und auch die Anspielungen auf Edward Snowden sind mehr als verstörend. Auch wenn es bis heute immer wieder behauptet wird, und wenn es die Autoren auch hier unreflektiert wiederholen, er konnte keine einzige “rechtswidrige Machenschaft” aufdecken. Das einzige, das in diese Kategorie einigermaßen heran kommt, ist die Aufdeckung des inneramerikanischen “215-Programs” -- aber es als “rechtswidrige Machenschaft” zu bezeichnen ist zumindest eine maßlose Übertreibung. Wer an Details interessiert ist, das PCLOB hat auch dazu einen Bericht[10] verfasst.

Snowden konnte bisher kein einziges Fehlverhalten der NSA aufdecken. Es gibt nichts, aber auch rein gar nichts das seinen Geheimnisverrat in irgendeiner Art rechtfertigt. Wenn er es bei seiner allerersten Enthüllung belassen hätte, der Aufdeckung des “215-Programms”, dann müsste er sicher als Whistleblower gelten. Dann hätte er aber auch in den USA bleiben können, und es wäre ihm nichts passiert.


[1] https://twitter.com/twrweb/status/739558093630152710 
[2] https://twitter.com/twrweb/status/740658013997010949 
[3] https://docs.google.com/document/d/1aJAN6hOKZV-wat_3xZU1QXymZzLpRlgOOu2tKrBV87s/edit#
[4] http://intelligence.house.gov/news/documentsingle.aspx?DocumentID=743 
[5] http://www.reuters.com/article/us-usa-security-snowden-brazil-idUSBRE97600L20130807 
[6] http://www.thedailybeast.com/articles/2013/06/25/greenwald-snowden-s-files-are-out-there-if-anything-happens-to-him 
[7] https://www.pclob.gov/library/702-report.pdf 
[8] http://www.europarl.europa.eu/sides/getAllAnswers.do?reference=E-2016-006873&language=EN 
[9] https://www.schneier.com/blog/archives/2006/03/data_mining_for.html 
[10] https://www.pclob.gov/library/215-report_on_the_telephone_records_program.pdf 

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