Resümee zu den bisherigen Erkenntnissen des "NSA-Untersuchungsausschusses"
(original gepostet 09.02.2015 auf Google+)
Bisher konzentrierte sich der "NSA-Untersuchungsausschuss" vornehmlich auf die Tätigkeiten des BND. Wenig überraschend kam hier bisher nichts zutage, das die Snowden-Hyperbolik in irgendeiner Art bestätigen würde. Wer diesbezüglich eine unrealistische Erwartungshaltung hatte, der ist vom bisherigen Verlauf wohl eher enttäuscht. Wer sich die Aussagen der bisherigen BND-Zeugen aber genauer ansah, der musste feststellen, dass durch die Vernehmungen bisher erstaunlich viele Details bekannt wurden, auch operative Details. So viele, dass ich persönlich sogar Verständnis dafür hätte, wenn die Bundesregierung die Reißleine zieht und weitere öffentliche Zeugenaussagen von BND-Mitarbeitern untersagt.
Ich empfehle hierzu die Blogbeiträge zum "NSA-Untersuchungsausschuss" auf http://electrospaces.net. Die erscheinen zwar mit einer ziemlich hohen zeitlichen Verzögerung (wohl, da der Betreiber sehr sorgfältig recherchiert und auch Zusammenhänge mit anderen Veröffentlichungen erklärt), aber es ist das weitaus Beste, das man zu diesem Thema lesen kann. Und es ist schon einigermaßen bezeichnend, dass es die besten Informationen zum "NSA-Untersuchungsausschuss" auf einem englischsprachigen Blog zu lesen gibt ...
Dieser Beitrag beschäftig sich eher damit, was man aus den bisherigen Erkenntnissen folgern kann, welche konkreten Reformvorschläge der "NSA-Untersuchungsausschuss" sinnvollerweise erarbeiten könnte.
Zunächst wissen wir von den Zeugenvernehmungen, dass es für den BND keine rechtliche Grundlage dafür gibt, Provider zur Mithilfe zu zwingen, wenn es um reine Ausland-Ausland Kommuniktion geht. Beim Fall "Eikonal" (paketvermittelt) half man sich dadurch, es über eine G10-Anordnung zu machen, obwohl nur ein geringer Teil der übertragenen Daten die von Deutschen waren, und obwohl es dem BND in Wirklichkeit nur um den Ausland-Ausland Anteil ging. Das war schon sehr "getrickst". Dagegen handelte es sich beim Fall "Glotaic" um eine leitungsvermittelten, reinen Ausland-Ausland Dienst ohne deutschen Bezug (außer dass der Abgriff auf deutschem Boden stattfand). Hier war der BND ausschließlich auf die freiwillige Kooperationsbereitschaft des Providers angewiesen (wahrscheinlich die Deutsche Telekom).
Das ist eigentlich ein unhaltbarer Zustand. Es gibt keinen vernünfigen Grund, warum man dem BND das Abgreifen von reiner Ausland-Ausland Kommunikation auf deutschem Boden verwehren sollte. Und für die Provider ist es auch ein unzumutbarer Zustand, dass wenn sie freiwillig kooperieren, und das dann irgendwann publik wird, sie als Kollaborateure der Geheimdienste in der Kritik stehen.
Es liegt geradezu auf der Hand, dass dies gesetzlich geregelt werden muss. Ähnlich, wie die Amerikaner das mit dem hierzulande oft gescholtenen FISA Abschnitt 702 machten (worauf u. a. auch "PRISM" basiert).
In diesem Zusammenhang ist es auch interessant, wie der BND Leitungen auf deutschem Boden abhört. Hier wissen wir nun auch von den Zeugenaussagen, dass der BND die entsprechende Leitung von dem Provider gedoppelt bekommt, er damit Zugriff auf den kompletten Datenstrom hat. Und damit auch auf alle deutschen Daten, die sich darin befinden. Nichts deutet bisher darauf hin, dass der BND diesen Zugriff auch missbrauchte, aber die Möglichkeit hätte er.
Das sieht in den USA anders aus. Wenn die NSA Internetverkehr von amerikanischen Providern abgreifen will, dann macht sie das gemäß "702 Upstream", aber anders als in Deutschland der BND bekommt die NSA nicht das komplette Kabel gedoppelt. Sie muss vielmehr den Providern spezifische Selektoren übermitteln, die Provider schneiden den dazugehörigen Datenverkehr mit und übermitteln diesen dann an die NSA.
Ein Gesetz in Deutschland, analog zu FISA Abschnitt 702, würde also zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen: Es würde einerseits eine Gesetzeslücke schließen, und andererseits einen Missbrauch durch den BND deutlich erschweren. Das ist der erste Reformvorschlag.
Eine weitere Erkenntnis aus den bisherigen Zeugenvernehmungen, bei der es Verbesserungspotential gibt, betrifft die Aufsicht durch die G10-Kommission und des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Ein Zeuge sagte sinngemäß: "Wenn sie Dich was fragen, dann sag die Wahrheit; aber sag nichts zu Themen, zu denen sie Dich nichts fragen."
Es scheint also innerhalb des BND keinerlei Verpflichtung zu geben, Probleme oder Regelverstöße aktiv an die Aufsichtsgremien zu melden. Dies ist in der NSA anders, dort haben die Analysten diese Verpflichtung. Natürlich ist es dann peinlich, wenn jemand diese Berichte entwendet und der Öffentlichkeit zugänglich macht. Fehler, die man einfach unter den Tisch kehrt, können natürlich auch nie in der Zeitung landen; Fehler, die man dokumentiert und meldet, dagegen schon. Dennoch ist hier das amerikanische System sehr viel besser geeignet, Missbrauch zu vermeiden.
Damit hätten wir schon den zweiten Reformvorschlag, den der "NSA Untersuchungsausschuss" erarbeiten könnte: Mitarbeiter der deutschen Geheimdienste dazu zu verpflichten, Fehler und Regelverstöße aktiv an die Aufsichtsgremien zu melden.
Ein weiterer Punkt, der die Aufsicht betrifft, der auch schon vor dem Untersuchungsausschuss bekannt war, aber erst jetzt dessen Nachteile offenkundig wurden: Die deutschen Geheimdienste haben keine judikative Aufsicht. Die Bundesregierung als Auftraggeber ist die Aufsicht durch die Executive. Die beiden Aufsichtsgremien, die G10-Kommission und das Parlamentarische Kontrollgremium, sind beides Organe der Legislative. Es ist hier nicht nur die Tatsache, dass in unserem System Exekutive und Legislative sehr eng miteinander verbandelt sind. Vielmehr zeigte sich, dass der BND (und damit auch seine Aufsichtsgremien) Rechtsauffassungen vertritt, die von den meisten Rechtsexperten in der Luft zerrissen werden. Als Beispiele seien hier die "Weltraumtheorie" oder die "Funktionsträgerthese" genannt. An dieser Stelle soll nicht über die Haltbarkeit dieser Thesen spekuliert werden, aber es ist ein klares Defizit, dass die Thesen nicht mit einer entsprechenden juristischen Autorität vertreten werden können. Von den Mitgliedern der Aufsichtsgremien muss lediglich der Vorsitzende der G10-Kommission die Eignung zum Richteramt haben.
Das sieht in den USA anders aus. Die Richter am FISC (das FISC ist bezüglich Aufgaben und Kompetenzen am ehesten mit der G10-Kommission vergleichbar) sind allesamt Bundesrichter. Und ernannt werden Sie vom Obersten Richter der USA. Damit liegt dieses wichtige Aufsichtsorgan nicht nur bei der Judikative (und ist damit soweit es nur geht unabhängig von der Exekutive), sondern die oft juristisch sehr komplexen Fragestellungen werden von erfahrenen Richtern beantwortet.
Bisher wird das FISC in der öffentlichen Diskussion bei uns als “Geheimgericht” eher belächelt und verspottet. Das ist der Sache in keinster Weise gerecht. Das FISC ist keinesfalls geheimer als unsere G10-Kommission. Ohne einen gewissen Grad an Geheimhaltung geht es hier nun mal nicht -- es sei denn man stellt die Existenzberechtigung von Geheimdiensten grundsätzlich in Abrede.
Der dritte dritte Reformvorschlag ist demzufolge, die G10-Kommission auch in Deutschland der Judikative zu unterstellen, und sie ausschließlich mit Richtern auszustatten, die auch von Organen der Judikative ernannt werden.
Zum Abschluss noch etwas zu einem Thema, das derzeit viel diskutiert wird: Der Umgang mit den Daten von Ausländern im Ausland.
Ein BND-Zeuge sagte zu diesen Daten recht drastisch "zum Abschuss freigegeben".
Auch hier zuerst ein Vergleich, wie die Rechtslage in den USA aussieht (so wie ich es verstanden habe; ich bin erstens kein Jurist, und zweitens haben die angelsächsisch geprägten Rechtssysteme ein paar Eigenarten, die uns Deutschen wenig ersichtlich sind; auch aus diesem Grund würde ich dem Ausschuss dringend empfehlen, einen amerikanischen Rechtsexperten anzuhören, z. B. jemanden vom PCLOB oder einen ausgewiesenen Experten wie Benjamin Wittes). Dort ist der Abgriff der Daten zwar gesetzlich geregelt, sofern er auf amerikanischem Boden stattfindet (der oben erwähnte FISA Abschnitt 702), aber wenn sich die Daten dann in den Händen der NSA befinden, wird die Verwendung dieser Daten nicht mehr von den Aufsichtsorganen kontrolliert. Es gelten dann die Regeln von EO12333, ein Präsidentenerlass (von Ronald Reagan), der die reine Auslandsüberwachung regelt. Somit gibt es weder in Deutschland noch den USA einen gesetzlichen Schutz der Privatsphäre von Ausländern im Ausland (wahrscheinlich gibt es solch einen Schutz in kaum einem Land der Erde).
In EO12333 stehen Dinge wie "Daten dürfen nur erhoben und ausgewertet werden, wenn es einem legitimen Spionagezweck dient". Man kann sich natürlich trefflich darüber streiten, inwiefern das eine belastbare Formulierung ist, aber es ist immerhin mehr als "zum Abschuss freigegeben". Wobei sich der BND-Zeuge damit vermutlich etwas weit aus dem Fenster lehnte, vermutlich gibt es innerhalb der Dienstanweisungen der Bundesregierung an den BND ähnliche Vorschriften -- aber diese kann man nicht öffentlich nachlesen, im Gegensatz zu EO12333.
Es ist juristisch umstritten, ob G10 auch für Ausländer im Ausland gilt. Viele Rechtsexperte bejahen dies (auch die drei, die im "NSA-Untersuchungsauschuss" gehört wurden), aber solange es hierzu kein (eindeutiges) Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt, wird die Bundesregierung kaum von ihrer Rechtsauffassung abweichen. Der Ausschuss könnte natürlich eine rechtliche Klarstellung fordern, aber eine Umsetzung bedürfte aufgrund der notwendigen Grundgesetzänderung eines breiten Konsenses. Dieser ist weit und breit nicht in Sicht.
Eine Gleichstellung von Ausländern im Ausland mit Inländern ist auch an vielen Stellen fragwürdig. Natürlich kann man sagen "im grenzenlosen Internet sind alle gleich", aber in der Realität leben wir nun mal alle in Nationalstaaten, in denen wir von nationalen Gesetzen und nationalen Staatsgewalten dominiert werden. Die deutsche Staatsgewalt kann einen in Russland lebenden Russen nun mal nicht im gleichen Maß verhaften, anklagen oder schikanieren wie einen Deutschen. Natürlich kann sie einem Russen deutsche Konten sperren, oder versuchen einen internationalen Haftbefehl durchzusetzen, oder Reisefreiheiten einschränken, und noch einige Dinge mehr, aber das ist bei weitem nicht vergleichbar mir der Macht, die die deutsche Staatsgewalt gegenüber Deutschen oder hier lebenden Ausländern hat. Insofern ist eine absolute Gleichbehandlung nicht nachvollziehbar.
Auch muss man sehen, dass die deutsche Staatsgewalt gegenüber hier lebenden Personen wesentlich mehr Möglichkeiten der Datenerhebung hat als gegenüber Ausländern im Ausland. Hat sie in Deutschland ein Überwachungsziel ausgemacht, dann kann sie zu annähernd 100% alle Kommunikationen dieser Person erfassen. Im Ausland dagegen ist sie auf Amtshilfe oder riskante und aufwendige Spionage angewiesen -- und auf die Daten, die zufällig über Deutschland geleitet werden.
Und es ist zu beachten, dass eine Gleichstellung die Auslandsaufklärung erheblich einschränken würde, und zwar nicht nur durch den bürokratischen Mehraufwand, sich jedesmal eine G10-Genehmigung einholen zu müssen. Man muss nun mal bei der Auslandsaufklärung auch mehr “in die Breite” gehen. Angenommen, es ist bekannt, dass ein Verdächtiger bei einer ausländischen Firma XY arbeitet. Dann würde der BND sicherlich alle Daten erheben wollen, die es zu allen ausländischen Mitarbeitern der ausländischen Firma XY gibt, in der Hoffnung Daten über den Richtigen zu erhalten. So etwas wäre natürlich mit gutem Grund im Inland nicht denkbar, kein Richter und keine G10-Kommission würde erlauben, alle Mitarbeiter von VW überwachen zu lassen, nur da man weiß dass einer ihrer Mitarbeiter ein mutmasslicher Terrorist ist -- das aber eben auch vor allem deswegen, da man innerhalb von Deutschland noch sehr viel mehr Optionen bei der Ermittlungsarbeit hat.
Die vierte Empfehlung lautet demzufolge, die reine Auslandsaufklärung nicht nennenswert einzuschränken, die Regeln dazu aber öffentlich verfügbar zu machen, ähnlich EO12333 in den USA. Auch ist es eine überlegenswerte Idee, Ausländern im Ausland eine Klagemöglichkeit einzuräumen, wenn sie Opfer einer (unberechtigten) Überwachung wurden.
Diese vier Reformvorschläge drängen sich nach bisherigem Sachstand geradezu auf (wobei ich natürlich nicht den Inhalt der nichtöffentlichen Sitzungen kenne). Wenn ich der Opposition einen Ratschlag geben könnte, dann würde ich ihnen empfehlen, sich auf diese Vorschläge zu konzentrieren (gegen die es mE auch keine vernünftigen Gegenargumente gibt). Das sind greifbare und realistische Ergebnisse, die man dann auch als eigene Erfolge verbuchen könnte. Sie kann natürlich weiterhin auf den "großen Wurf" hoffen, darauf dass noch Erkenntnisse kommen, welche die Snowden-Hyperbolik stützen. Mag sein, ist aber extrem unwahrscheinlich. Oder sie kann versuchen, das Thema bis in den nächsten Wahlkampf zu retten. Aber wer bis jetzt nicht verstanden hat, dass mit Snowden-Hyperbolik in Wahlkämpfen kein Blumentopf zu gewinnen ist, dem ist einfach nicht mehr zu helfen.
(original gepostet 09.02.2015 auf Google+)
Bisher konzentrierte sich der "NSA-Untersuchungsausschuss" vornehmlich auf die Tätigkeiten des BND. Wenig überraschend kam hier bisher nichts zutage, das die Snowden-Hyperbolik in irgendeiner Art bestätigen würde. Wer diesbezüglich eine unrealistische Erwartungshaltung hatte, der ist vom bisherigen Verlauf wohl eher enttäuscht. Wer sich die Aussagen der bisherigen BND-Zeugen aber genauer ansah, der musste feststellen, dass durch die Vernehmungen bisher erstaunlich viele Details bekannt wurden, auch operative Details. So viele, dass ich persönlich sogar Verständnis dafür hätte, wenn die Bundesregierung die Reißleine zieht und weitere öffentliche Zeugenaussagen von BND-Mitarbeitern untersagt.
Ich empfehle hierzu die Blogbeiträge zum "NSA-Untersuchungsausschuss" auf http://electrospaces.net. Die erscheinen zwar mit einer ziemlich hohen zeitlichen Verzögerung (wohl, da der Betreiber sehr sorgfältig recherchiert und auch Zusammenhänge mit anderen Veröffentlichungen erklärt), aber es ist das weitaus Beste, das man zu diesem Thema lesen kann. Und es ist schon einigermaßen bezeichnend, dass es die besten Informationen zum "NSA-Untersuchungsausschuss" auf einem englischsprachigen Blog zu lesen gibt ...
Dieser Beitrag beschäftig sich eher damit, was man aus den bisherigen Erkenntnissen folgern kann, welche konkreten Reformvorschläge der "NSA-Untersuchungsausschuss" sinnvollerweise erarbeiten könnte.
Zunächst wissen wir von den Zeugenvernehmungen, dass es für den BND keine rechtliche Grundlage dafür gibt, Provider zur Mithilfe zu zwingen, wenn es um reine Ausland-Ausland Kommuniktion geht. Beim Fall "Eikonal" (paketvermittelt) half man sich dadurch, es über eine G10-Anordnung zu machen, obwohl nur ein geringer Teil der übertragenen Daten die von Deutschen waren, und obwohl es dem BND in Wirklichkeit nur um den Ausland-Ausland Anteil ging. Das war schon sehr "getrickst". Dagegen handelte es sich beim Fall "Glotaic" um eine leitungsvermittelten, reinen Ausland-Ausland Dienst ohne deutschen Bezug (außer dass der Abgriff auf deutschem Boden stattfand). Hier war der BND ausschließlich auf die freiwillige Kooperationsbereitschaft des Providers angewiesen (wahrscheinlich die Deutsche Telekom).
Das ist eigentlich ein unhaltbarer Zustand. Es gibt keinen vernünfigen Grund, warum man dem BND das Abgreifen von reiner Ausland-Ausland Kommunikation auf deutschem Boden verwehren sollte. Und für die Provider ist es auch ein unzumutbarer Zustand, dass wenn sie freiwillig kooperieren, und das dann irgendwann publik wird, sie als Kollaborateure der Geheimdienste in der Kritik stehen.
Es liegt geradezu auf der Hand, dass dies gesetzlich geregelt werden muss. Ähnlich, wie die Amerikaner das mit dem hierzulande oft gescholtenen FISA Abschnitt 702 machten (worauf u. a. auch "PRISM" basiert).
In diesem Zusammenhang ist es auch interessant, wie der BND Leitungen auf deutschem Boden abhört. Hier wissen wir nun auch von den Zeugenaussagen, dass der BND die entsprechende Leitung von dem Provider gedoppelt bekommt, er damit Zugriff auf den kompletten Datenstrom hat. Und damit auch auf alle deutschen Daten, die sich darin befinden. Nichts deutet bisher darauf hin, dass der BND diesen Zugriff auch missbrauchte, aber die Möglichkeit hätte er.
Das sieht in den USA anders aus. Wenn die NSA Internetverkehr von amerikanischen Providern abgreifen will, dann macht sie das gemäß "702 Upstream", aber anders als in Deutschland der BND bekommt die NSA nicht das komplette Kabel gedoppelt. Sie muss vielmehr den Providern spezifische Selektoren übermitteln, die Provider schneiden den dazugehörigen Datenverkehr mit und übermitteln diesen dann an die NSA.
Ein Gesetz in Deutschland, analog zu FISA Abschnitt 702, würde also zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen: Es würde einerseits eine Gesetzeslücke schließen, und andererseits einen Missbrauch durch den BND deutlich erschweren. Das ist der erste Reformvorschlag.
Eine weitere Erkenntnis aus den bisherigen Zeugenvernehmungen, bei der es Verbesserungspotential gibt, betrifft die Aufsicht durch die G10-Kommission und des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Ein Zeuge sagte sinngemäß: "Wenn sie Dich was fragen, dann sag die Wahrheit; aber sag nichts zu Themen, zu denen sie Dich nichts fragen."
Es scheint also innerhalb des BND keinerlei Verpflichtung zu geben, Probleme oder Regelverstöße aktiv an die Aufsichtsgremien zu melden. Dies ist in der NSA anders, dort haben die Analysten diese Verpflichtung. Natürlich ist es dann peinlich, wenn jemand diese Berichte entwendet und der Öffentlichkeit zugänglich macht. Fehler, die man einfach unter den Tisch kehrt, können natürlich auch nie in der Zeitung landen; Fehler, die man dokumentiert und meldet, dagegen schon. Dennoch ist hier das amerikanische System sehr viel besser geeignet, Missbrauch zu vermeiden.
Damit hätten wir schon den zweiten Reformvorschlag, den der "NSA Untersuchungsausschuss" erarbeiten könnte: Mitarbeiter der deutschen Geheimdienste dazu zu verpflichten, Fehler und Regelverstöße aktiv an die Aufsichtsgremien zu melden.
Ein weiterer Punkt, der die Aufsicht betrifft, der auch schon vor dem Untersuchungsausschuss bekannt war, aber erst jetzt dessen Nachteile offenkundig wurden: Die deutschen Geheimdienste haben keine judikative Aufsicht. Die Bundesregierung als Auftraggeber ist die Aufsicht durch die Executive. Die beiden Aufsichtsgremien, die G10-Kommission und das Parlamentarische Kontrollgremium, sind beides Organe der Legislative. Es ist hier nicht nur die Tatsache, dass in unserem System Exekutive und Legislative sehr eng miteinander verbandelt sind. Vielmehr zeigte sich, dass der BND (und damit auch seine Aufsichtsgremien) Rechtsauffassungen vertritt, die von den meisten Rechtsexperten in der Luft zerrissen werden. Als Beispiele seien hier die "Weltraumtheorie" oder die "Funktionsträgerthese" genannt. An dieser Stelle soll nicht über die Haltbarkeit dieser Thesen spekuliert werden, aber es ist ein klares Defizit, dass die Thesen nicht mit einer entsprechenden juristischen Autorität vertreten werden können. Von den Mitgliedern der Aufsichtsgremien muss lediglich der Vorsitzende der G10-Kommission die Eignung zum Richteramt haben.
Das sieht in den USA anders aus. Die Richter am FISC (das FISC ist bezüglich Aufgaben und Kompetenzen am ehesten mit der G10-Kommission vergleichbar) sind allesamt Bundesrichter. Und ernannt werden Sie vom Obersten Richter der USA. Damit liegt dieses wichtige Aufsichtsorgan nicht nur bei der Judikative (und ist damit soweit es nur geht unabhängig von der Exekutive), sondern die oft juristisch sehr komplexen Fragestellungen werden von erfahrenen Richtern beantwortet.
Bisher wird das FISC in der öffentlichen Diskussion bei uns als “Geheimgericht” eher belächelt und verspottet. Das ist der Sache in keinster Weise gerecht. Das FISC ist keinesfalls geheimer als unsere G10-Kommission. Ohne einen gewissen Grad an Geheimhaltung geht es hier nun mal nicht -- es sei denn man stellt die Existenzberechtigung von Geheimdiensten grundsätzlich in Abrede.
Der dritte dritte Reformvorschlag ist demzufolge, die G10-Kommission auch in Deutschland der Judikative zu unterstellen, und sie ausschließlich mit Richtern auszustatten, die auch von Organen der Judikative ernannt werden.
Zum Abschluss noch etwas zu einem Thema, das derzeit viel diskutiert wird: Der Umgang mit den Daten von Ausländern im Ausland.
Ein BND-Zeuge sagte zu diesen Daten recht drastisch "zum Abschuss freigegeben".
Auch hier zuerst ein Vergleich, wie die Rechtslage in den USA aussieht (so wie ich es verstanden habe; ich bin erstens kein Jurist, und zweitens haben die angelsächsisch geprägten Rechtssysteme ein paar Eigenarten, die uns Deutschen wenig ersichtlich sind; auch aus diesem Grund würde ich dem Ausschuss dringend empfehlen, einen amerikanischen Rechtsexperten anzuhören, z. B. jemanden vom PCLOB oder einen ausgewiesenen Experten wie Benjamin Wittes). Dort ist der Abgriff der Daten zwar gesetzlich geregelt, sofern er auf amerikanischem Boden stattfindet (der oben erwähnte FISA Abschnitt 702), aber wenn sich die Daten dann in den Händen der NSA befinden, wird die Verwendung dieser Daten nicht mehr von den Aufsichtsorganen kontrolliert. Es gelten dann die Regeln von EO12333, ein Präsidentenerlass (von Ronald Reagan), der die reine Auslandsüberwachung regelt. Somit gibt es weder in Deutschland noch den USA einen gesetzlichen Schutz der Privatsphäre von Ausländern im Ausland (wahrscheinlich gibt es solch einen Schutz in kaum einem Land der Erde).
In EO12333 stehen Dinge wie "Daten dürfen nur erhoben und ausgewertet werden, wenn es einem legitimen Spionagezweck dient". Man kann sich natürlich trefflich darüber streiten, inwiefern das eine belastbare Formulierung ist, aber es ist immerhin mehr als "zum Abschuss freigegeben". Wobei sich der BND-Zeuge damit vermutlich etwas weit aus dem Fenster lehnte, vermutlich gibt es innerhalb der Dienstanweisungen der Bundesregierung an den BND ähnliche Vorschriften -- aber diese kann man nicht öffentlich nachlesen, im Gegensatz zu EO12333.
Es ist juristisch umstritten, ob G10 auch für Ausländer im Ausland gilt. Viele Rechtsexperte bejahen dies (auch die drei, die im "NSA-Untersuchungsauschuss" gehört wurden), aber solange es hierzu kein (eindeutiges) Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt, wird die Bundesregierung kaum von ihrer Rechtsauffassung abweichen. Der Ausschuss könnte natürlich eine rechtliche Klarstellung fordern, aber eine Umsetzung bedürfte aufgrund der notwendigen Grundgesetzänderung eines breiten Konsenses. Dieser ist weit und breit nicht in Sicht.
Eine Gleichstellung von Ausländern im Ausland mit Inländern ist auch an vielen Stellen fragwürdig. Natürlich kann man sagen "im grenzenlosen Internet sind alle gleich", aber in der Realität leben wir nun mal alle in Nationalstaaten, in denen wir von nationalen Gesetzen und nationalen Staatsgewalten dominiert werden. Die deutsche Staatsgewalt kann einen in Russland lebenden Russen nun mal nicht im gleichen Maß verhaften, anklagen oder schikanieren wie einen Deutschen. Natürlich kann sie einem Russen deutsche Konten sperren, oder versuchen einen internationalen Haftbefehl durchzusetzen, oder Reisefreiheiten einschränken, und noch einige Dinge mehr, aber das ist bei weitem nicht vergleichbar mir der Macht, die die deutsche Staatsgewalt gegenüber Deutschen oder hier lebenden Ausländern hat. Insofern ist eine absolute Gleichbehandlung nicht nachvollziehbar.
Auch muss man sehen, dass die deutsche Staatsgewalt gegenüber hier lebenden Personen wesentlich mehr Möglichkeiten der Datenerhebung hat als gegenüber Ausländern im Ausland. Hat sie in Deutschland ein Überwachungsziel ausgemacht, dann kann sie zu annähernd 100% alle Kommunikationen dieser Person erfassen. Im Ausland dagegen ist sie auf Amtshilfe oder riskante und aufwendige Spionage angewiesen -- und auf die Daten, die zufällig über Deutschland geleitet werden.
Und es ist zu beachten, dass eine Gleichstellung die Auslandsaufklärung erheblich einschränken würde, und zwar nicht nur durch den bürokratischen Mehraufwand, sich jedesmal eine G10-Genehmigung einholen zu müssen. Man muss nun mal bei der Auslandsaufklärung auch mehr “in die Breite” gehen. Angenommen, es ist bekannt, dass ein Verdächtiger bei einer ausländischen Firma XY arbeitet. Dann würde der BND sicherlich alle Daten erheben wollen, die es zu allen ausländischen Mitarbeitern der ausländischen Firma XY gibt, in der Hoffnung Daten über den Richtigen zu erhalten. So etwas wäre natürlich mit gutem Grund im Inland nicht denkbar, kein Richter und keine G10-Kommission würde erlauben, alle Mitarbeiter von VW überwachen zu lassen, nur da man weiß dass einer ihrer Mitarbeiter ein mutmasslicher Terrorist ist -- das aber eben auch vor allem deswegen, da man innerhalb von Deutschland noch sehr viel mehr Optionen bei der Ermittlungsarbeit hat.
Die vierte Empfehlung lautet demzufolge, die reine Auslandsaufklärung nicht nennenswert einzuschränken, die Regeln dazu aber öffentlich verfügbar zu machen, ähnlich EO12333 in den USA. Auch ist es eine überlegenswerte Idee, Ausländern im Ausland eine Klagemöglichkeit einzuräumen, wenn sie Opfer einer (unberechtigten) Überwachung wurden.
Diese vier Reformvorschläge drängen sich nach bisherigem Sachstand geradezu auf (wobei ich natürlich nicht den Inhalt der nichtöffentlichen Sitzungen kenne). Wenn ich der Opposition einen Ratschlag geben könnte, dann würde ich ihnen empfehlen, sich auf diese Vorschläge zu konzentrieren (gegen die es mE auch keine vernünftigen Gegenargumente gibt). Das sind greifbare und realistische Ergebnisse, die man dann auch als eigene Erfolge verbuchen könnte. Sie kann natürlich weiterhin auf den "großen Wurf" hoffen, darauf dass noch Erkenntnisse kommen, welche die Snowden-Hyperbolik stützen. Mag sein, ist aber extrem unwahrscheinlich. Oder sie kann versuchen, das Thema bis in den nächsten Wahlkampf zu retten. Aber wer bis jetzt nicht verstanden hat, dass mit Snowden-Hyperbolik in Wahlkämpfen kein Blumentopf zu gewinnen ist, dem ist einfach nicht mehr zu helfen.
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