Sonntag, 6. Oktober 2019

Was bisher zur "BND-Affäre" bekannt ist, und was man daraus folgern kann
(original gepostet 27.04.2015 auf Google+)


Schnell war klar, dass die aktuelle "BND-Affäre" Zündstoff hat. Zwar hat es wieder einmal nichts mit Massenüberwachung zu tun (tatsächlich wird im Gegenteil eher gezeigt, dass es den Geheimdiensten um gezielte Überwachung geht), aber der Vorwurf, der BND hätte der NSA bei Industriespionage geholfen, der hat es natürlich in sich. Dazu kommen vermeintliche oder tatsächliche Zerwürfnisse zwischen Kanzleramt und BND sowie zwischen den Koalitionsparteien -- das alles machte klar, dass diese "Affäre" einen längeren Atem hat als das meiste andere, das im Zusammenhang mit den "Snowden-Enthüllungen" durch die Medien schwirrte und am nächsten Tag schon wieder vergessen war.

Aber was ist bisher konkret und belastbar bekannt? Das ist, wie gewohnt, nicht viel. Im Grunde genommen nur zwei Dinge:

Erstens, dass die NSA dem BND im Zusammenhang mit gemeinsamen Operationen Selektoren zur Verfügung stellte, die entgegen deutschen Interessen standen.
Und zweitens, dass die Bundesregierung den BND öffentlich kritisierte, was sehr ungewöhnlich ist.

Aber was kann man daraus folgern?


Zu erstens, den Selektoren. Zunächst ist hier anzumerken, dass die Selektoren ganz am Anfang der "Wertschöpfung" stehen. Die Selektoren bestimmen, was die Geheimdienste aus einem überwachten Kabel überhaupt abschöpfen. Was nicht zu den Selektoren passt, wird verworfen. Selektoren sind weniger ein Suchmuster, wie oft gesagt wird, sondern sie bestimmen, wie der Heuhaufen aussieht, den man danach näher durchsuchen will. Die Selektoren geben keinen Hinweis darauf, was tatsächlich an die NSA weiter geleitet wurde, denn nach den Selektoren wurden noch andere Filter auf den Heuhaufen angewandt -- inklusive einer manuellen Endkontrolle, wie mehrere BND-Mitarbeiter glaubwürdig im NSA-Untersuchungsausschuss aussagten. Es ist derzeit also pure Spekulation, was tatsächlich an die NSA ging.

Wir wissen also, dass die NSA dem BND Selektoren zur Verfügung stellte, die entgegen deutschen Interessen standen. Die erste Frage, die man sich hier stellen sollte, ist: Warum tat die NSA das? Und zwar vor dem Hintergrund, dass die NSA damit rechnen musste, dass der BND die Selektoren überprüft und sie damit "ertappt" werden. Dafür gibt es mehrere mögliche Erklärungen:
Vielleicht war es einfach nur "Gedankenlosigkeit" in der NSA-Bürokratie. Möglich.
Oder vielleicht dachte oder hoffte die NSA, dass es nicht auffällt. Aber wie wahrscheinlich ist das bei 40.000 abgelehnten Selektoren? Selbst bei insgesamt 800.000 Selektoren bleibt hier die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass man auch bei nur stichprobenartigen Überprüfungen auffällt. War die NSA möglicherweise wirklich so naiv?
Möglich ist auch, dass es der NSA egal war, was der BND oder Deutschlans insgesamt über sie denkt. Vielleicht stellten sie die Selektoren ein, und waren einfach nur froh für "jeden der durchkommt".
Eine weitere Erklärung, die derzeit niemand in Erwägung zu ziehen scheint: Vielleicht wollte die NSA damit auch einfach nur ein paar Ausrufezeichen setzen. Vielleicht sollte Deutschland damit eine Botschaft überbracht werden: "Leute, wir haben euch im Auge. Macht besser keinen Unfug mit euren Rüstungsfirmen!"

Eine weitere Sicht ist die des BND. Was dachte sich der BND, nachdem er realisierte, dass die NSA "faule" Selektoren einstellte? War man empört oder beleidigt? Oder fand man die Selektoren vielleicht sogar interessant, den sie liessen ja Rückschlüsse auf die europäischen Spionageziele der NSA zu. Waren die "faulen" Selektoren der eigentliche Grund dafür, dass der BND manuell alle Daten überprüfte, bevor sie an die NSA weiter geleitet wurden?

Faszinierende Fragen in der faszinierenden Welt der Spione ...


Zu zweitens, der öffentlichen BND-Schelte durch die Bundesregierung. Diese macht auf den ersten Blick überhaupt keinen Sinn, denn die Retourkutsche kam prompt und war für die Bundesregierung eigentlich auch absehbar: Die Enthüllung, dass der BND das Kanzleramt schon frühzeitig über die "faulen" NSA-Selektoren informierte. Diese Informationen waren bereits "draußen", und es musste der Bundesregierung klar sein, dass das zu recherchieren pure Fleißarbeit für die Presse war.

Warum machte es die Bundesregierung dennoch?

Meine Vermutung ist, dass damit eine Reform des BND und der zugehörigen Gesetze eingeläutet werden soll. Der NSA-Untersuchungsausschuss (der eigentlich eher ein BND-Untersuchungsausschuss ist) konnte zwar bisher kein einziges Fehlverhalten des BND aufdecken, aber jedem interessierten Beobachter ist vollkommen klar, dass rund um die Gesetzeslage und die Aufsicht einiges im Argen liegt. Um nur ein paar Punkte zu nennen:
Es gibt derzeit keine Rechtsgrundlage dafür, deutsche Betreiber dazu zu zwingen, bei der Überwachung von Nicht-Grundrechtsträgern (also Ausländer im Ausland) zu kooperieren. Es gibt keine judikative Aufsicht über die Geheimdienste. Und es gibt keine Verpflichtung der BND-Mitarbeiter, Missstände und Fehler aktiv an die Aufsicht zu melden. Und noch einiges mehr.

Vielleicht hat die Bundesregierung einfach nur erkannt, dass es hier akuten Handlungsbedarf gibt, und will sich nun nicht vom NSA-Untersuchungsausschuss den Schneid abkaufen lassen, sondern selbst die Initiative ergreifen.

Und die Gefahr, dass das aufgrund einer widersprüchlichen Erklärung nach hinten los geht, ist sehr gering, denn das Interesse der Bevölkerung hält sich auch bei dieser neuesten "Affäre" in sehr engen Grenzen. Das hat man im Kanzleramt inzwischen sicherlich verstanden ...

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